Bei den 24 Stunden von Le Mans steht die Energieeffizienz im Mittelpunkt. Erstmals steht allen Teilnehmern eine exakt festgelegte Energiemenge zur Verfügung. Wer gewinnen will, muss damit nicht nur über die Runden kommen, sondern in optimaler Weise mit dem bereitgestellten Kraftstoff umgehen. Für einen Technik-Gelehrten aus Langenfeld bei Düsseldorf ist das kein Neuland. Rolf Heidl (71) startete bei den 24 Stunden von Le Mans 1987 mit einem eigenen Prototypen der Gruppe C2, dem das Reglement lediglich 33 Liter Benzin auf 100 Rennkilometern zugestand. Dennoch setzte Heidl auf das 3,3-Liter-Triebwerk aus dem Porsche 930 turbo – und setzte damit ein Zeichen. Den Spritverbrauch bekam er dank einer List in den Griff – aber lesen Sie doch einfach selbst!
Samstag, 25. April 1987, Eifelrennen Nürburgring, „German Open“ für Sportprotypen, Tourenwagen und Formel 3. Auf dem Grand-Prix-Kurs herrscht Abendstimmung. Noch ist das Abschlusstraining des Würth-Supercups in vollem Gange, die Spitzenteams der Gruppe C1 haben ihre Positionen aber schon längst bezogen. Da rollt aus dem vorderen Teil der Boxenanlage, dem historischen „Conti-Turm“ bei Start und Ziel zugeneigt, kurz vor Toresschluss noch eine blütenweiße Flunder. Nachdem sie das andere, das untere Ende der Boxengasse erreicht und die Ampel grünes Licht gegeben hat, begibt sie sich in ihre Umlaufbahn. Als das praktisch werbefreie Bügelbrett Start und Ziel zum ersten Mal erreicht, verschärft sich das Tempo. Der Vorderwagen hebt sich ganz leicht aus den Federn, wie es früher einmal die Porsche 935 der Gruppe 5 gemacht haben. Der Motor hört sich in etwa so an wie der luftgekühlte Sechszylinder-Boxer der legendären „Kreissäge“, nur nicht ganz so martialisch. Nach wenigen Runden wird die Trainingssitzung abgewunken, und der Erlkönig kehrt in die ihm zugedachte Garage zurück.
Dort geht es ruhig zu. Die Front- und Heckhauben werden abgenommen, ein Fahrer mit pechschwarzem Schnauzbart steigt aus. Er wird umsorgt von einer Dame, die aus einem Musikvideo der auslaufenden achtziger Jahre entsprungen zu sein scheint. Ihre ondulierte Lockenpracht, ihre Ballonseide, in die sie gewandet ist – eine wandelnde Hommage an die niederländische Sängerin C.C. Catch alias Caroline Müller (Hitsingle 1986: „Welcome to the Heartbreak Hotel“). Da die Fahrerlager-Erscheinung jedoch wiederholt mit „Irene“ angesprochen wird, kann es sich nur um eine Verwechslung handeln. Der Volanteur im gelben Rennoverall ist für die Umstehenden bloß „dä Pitter“. Im hinteren Teil des seiner Front- und Heckhaube entblößten Prototypen mit der auffallend schmalen Glaskanzel werkeln augenscheinlich Vater und Sohn. Während der Ältere die Vorliebe für tiefschwarzen Bartschmuck mit seinem Lenkrad-Artisten zu teilen scheint, wirkt sein Filius wie ein Werkstudent – drahtig, mit intellektuell anmutender Drahtbrille und feuerrotem, ärmellosem „Muscle Shirt“ als Gegenentwurf zum Vierauge. Das Duo bestimmt das Geschehen, und tatsächlich macht es sich über einen Sechszylinder-Boxermotor her. Allerdings sieht der ganz anders aus als die Aggregate in den Porsche 962C mit ihren auf Hochglanz polierten Leichtmetall-Druckboxen, irgendwie serienverwandter.
Es wird Zeit, einander vorzustellen, und selbstverständlich sei der Dame im Bunde der Vortritt gewährt! Irene Sebastian heißt die Teammanagerin, die gleichzeitig die Lebensabschnitts-Gefährtin des Rennfahrers ist. Der Herr im feuerfesten Einteiler ist aus der STT, der Spezial Tourenwagen Trophy, als Dompteur eines Porsche 935 turbo bekannt und eigentlich Autolackierer von Beruf. Sein Name: Peter Fritsch. Piekfein ist sein zweisitziges Coupé hergerichtet, das noch keine Rennen bestritten zu haben scheint. An der Rückwand des engen Cockpits befindet sich, von Nieten gehalten, ein Typenschild. Die Informationen, die es preisgibt, sind allerdings spärlich: „Anglia Cars LTD, Griston/England, Argo JM19 110 C2“. Es handelt sich demnach um einen von 16 Argo JM19, die die englische Rennwagen-Manufaktur Anglia Cars Limited in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Konstrukteur Jo Marquart aufgelegt hat.
Das Chassis Nummer 110 ist älteren Datums – so neu, wie es aussieht, ist es nicht. Der Norweger Martin Schanche hat es in den Sponsorfarben der Zigarettenmarke „Lucky Strike“ mit einem älteren Zakspeed-Vierzylinder-Turbomotor in der Endurance-Weltmeisterschaft an den Start gebracht. Als der Umsteiger aus dem Rallyecross-Sport einen neuen Argo JM19 C2 erhält – das Fahrgestell mit der Seriennummer 116 – verkauft er das bisherige an Peter Fritsch. Der wiederum veräußert seinen Porsche 935 turbo an den Rennstallbesitzer Franz Konrad aus Gütersloh, der damit den Einstieg ins ambitionierte Kunden-Mietgeschäft vollzieht. Den Erlös aus der Rochade investiert Fritsch in den gebrauchten Gruppe C2, den er seinerseits als Rolling Chassis ohne Motor und Getriebe von Martin Schanche übernimmt. Als Bewerber tritt der Rennwagen-Produzent Manfred Dahm aus Overath bei Köln auf, dessen Replikate des Porsche 910 eine unverkennbare Liebe zu Prototypen offenbaren.
An dieser Stelle kommt Rolf Heidl ins Spiel, der zwei Motoren und die Kraftübertragung in die Teamkonstellation einbringt. Sein Ansatz ist so einfach wie ungewöhnlich: Aus Kostengründen will er mit modifizierter Serientechnik antreten. Seine beiden Sechszylinder-Boxer baut er auf zwei bewährten Kurbelgehäusen des Porsche 911 turbo des Typs 930 auf. Als Profi weiß er natürlich, dass die althergebrachte Gemischaufbereitung über die Bosch-KE-Jetronic das Leistungshemmnis schlechthin ist. Bei 350 PS – so schätzt er die Lage realistisch ein – ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Heidl will aber mindestens 400 PS erzielen. Gleichzeitig muss er mit 33 Litern Kraftstoff auf 100 Rennkilometern über die Runden kommen. So fordert es das restriktive Reglement der Gruppe C2. Der Lösungsansatz liegt in einer Adaption der Bosch-Motronic, die soeben erst über den 911 Carrera 3,2 in die Serienfertigung eingeführt worden ist. Heidl ersinnt ein besonders cleveres Konzept: Er verwendet zwei Motronic-Steuergeräte, um jeden Zylinder mit zwei Zündkerzen wie weiland beim 911 Carrera RSR 3.0 mit Doppelzündung versehen zu können. Jedes der Motronic-Steuergeräte ist zwar auch für jeden der sechs Zylinder zuständig, aber eben nur für jeweils eine Zündkerze. Aus der Synchronität beider Kleincomputer ergibt sich die Ansteuerung eines zweifachen Zündkreises. In der Summe aller Tricks und Kniffe stehen schlussendlich die gewünschten 400 PS zur Verfügung. Im Vergleich mit den reinrassigen Cosworth-DFL-Achtzylindermotoren, die bei 3.298 ccm Hubraum 490 PS Leistung abgeben, ist das allerdings eine eher bescheidene Ausbeute. Theoretisch in derselben Liga wie der „Cossie“ ist der Motortyp M88 zuhause, den BMW aus dem zweisitzigen M1 in die Gruppe C2 transferiert. Doch der Reihen-Sechszylinder kann mit seinen 480 PS den Cosworth-Treibsätzen in der Praxis das Wasser kaum reichen. Als Derivate aus der Formel 1 sind die DFL ganz einfach das Maß aller Dinge.
In diese Symphonie der schnellen Sauger fallen auch Formel-1-Turbos von BMW oder Motori Moderni ein – und eben der seriennahe Heidl-Porsche als Außenseiter. Rolf Heidl und Sohn Roland bemühen sich nach Kräften, ihre Kreation in Szene zu setzen. Das Getriebe aus dem 930 turbo 3.3 stellen sie wie einst im 935er auf den Kopf, um einen sauberen Lauf der andernfalls zu stark angewinkelten Antriebswellen zu ermöglichen. So gerüstet, probt Peter Fritsch beim Eifelrennen Nürburgring 1987 mutig den Ernstfall. Eine Podiumsplatzierung erreicht er nicht. Er weiß bereits, dass es um mehr geht. Keine zwei Monate später, am 13. Juni 1987, stürzt er sich in das größte Abenteuer, das der Motorsport zu bieten hat: die 24 Stunden von Le Mans. Als erster Fahrer ist Fritsch fest gesetzt, und am liebsten würde er seinen Wuppertaler Kumpan Edgar Dören als Teamgefährten an Bord nehmen. Vorsorglich nominiert er ihn auch, doch Dörens Einsatz scheitert an der Finanzierung. Die bringt schließlich der Belgier Jean-Paul Libert für sich selbst und den Rennfahrschulen-Betreiber Teddy Pilette auf. Das Trio schlägt sich wacker, qualifiziert den Argo JM19 Porsche mit Leichtigkeit für das große Rennen – und das nicht einmal an letzter Stelle. Im Rennen wirft ein Lapsus des Veranstalters das kleine Team aus dem Wettbewerb. Alle Teilnehmer müssen ein einheitliches Benzin tanken, das zentral in einem riesigen Behälter auf dem Boxendach lagert. Nach der Zeitenjagd wird der Kessel neu befüllt – irrtümlich mit einem Sprit, dessen Oktanzahl zu gering ist. Die dramatische Konsequenz: Die thermisch anspruchsvollen Turbos klingeln sich zu Tode. Die Porsche-Werksmannschaft erkennt die missliche Lage, nimmt die Zündung zurück und bringt einen 962 C als Sieger über die mörderische 24-Stunden-Distanz. So weit kommt der private C2-Porsche unserer Protagonisten nicht. Obwohl der Spritverbrauch nie das Problem ist und stets im Rahmen liegt, magert auch hier das Gemisch bedenklich ab. Schließlich legt es auch den an sich grundsoliden Serien-Ableger lahm.
Immerhin nehmen Vater und Sohn Heidl eine wichtige Erkenntnis vom Rennplatz an der Sarthe mit. Sie analysieren, dass die heiße Auslassseite ihrer Zweiventil-Zylinderköpfe ausgerechnet dort in den Tiefen des Fahrgestells vergraben liegt, wo die Kühlluft aus dem Gebläse zuletzt auftrifft. So kommt die Idee auf den Tisch, die Zylinderköpfe um 180 Grad umzudrehen. Zur Saison 1988 wird der Plan schließlich auch umgesetzt, was Rolf Heidl eine zusammenhängende Woche ohne eine Minute Schlaf einbringt. Im letzten Moment – um 4.00 Uhr in der Nacht zum Samstag – bricht die enthusiastische Truppe auf mit Kurs in Richtung Nürburgring, um den ersten Aufschlag des Würth-Supercups 1988 mitzugestalten. Wenige Stunden später findet sich Peter Fritsch an zweiter Stelle der Gruppe C2 wieder – die harte Arbeit an der Wärmeabführung hat sich ausgezahlt. Es folgt eine schöne Zeit, die auf das Supercup-Jahr 1989 ausgeweitet wird. Inzwischen ist das elegante Langheck des Argo JM19 gegen eine kürzere Sprintversion ausgetauscht worden. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Supercup, der 1989 mit dem Fernsehsender SAT1 einen neuen Sponsor und Namensgeber erhält. Da für jeden Gruppe C1 oder C2 ein Antrittsgeld gezahlt wird und dieses in die Finanzierung der Betriebskosten einfließt, haben die Partner Fritsch und Heidl ihr sportliches Betätigungsfeld bis auf weiteres gefunden. Der Endurance-Weltmeisterschaft bleiben sie fern, da sich kein fester zweiter Fahrer mit eigenem Budget findet. Die Einladung zu den Neun Stunden von Kyalami in Südafrika nimmt das Duo, das fortan unter dem Kürzel „PeRo Racing“ operiert (das steht für „Peter und „Rolf“) jedoch wahr. Wo einst die Porsche 917 ihren Abschluss eines langen Sommerhalbjahres zelebrierten, lässt es sich das Personal des Argo gut gehen.
Das Verbrauchslimit von 33 Litern auf 100 Rennkilometern stellt keine Schwierigkeit dar – eine beachtenswerte Pionierleistung, die Heidl senior und junior erbringen. Leider müssen sie mit ansehen, wie ihre Bühne, der 1986 aus der Taufe gehobene Würth- und spätere SAT1-Supercup, nach vier Spielzeiten seiner Existenzgrundlage beraubt wird. Der Hintergrund: Die für den Supercup signalgebende Sportwagen-Weltmeisterschaft sieht einem neuen Motoren-Reglement entgegen. 3,5 Liter große Sauger verdrängen analog zur Formel 1 den Mix aus Turbos und großvolumigen Zwölfzylindern ohne Turbolader. 1992 scheitert die kostenintensive 3,5-Liter-Formel nach einem schwachen ersten Jahr. Der angerichtete Flurschaden ist beträchtlich, und für privat geführte Teams wie „PeRo Racing“ liegt die Anschaffung eines Gruppe-C-Boliden der neuesten Generation außer Reichweite. Peter Fritsch und Familie Heidl ziehen sich zurück. Der Argo JM19 bleibt noch eine Weile im Bestand, ehe er schließlich verkauft wird. Alsbald löst sich die Idealisten-Allianz auf. Peter Fritsch baut sich auf der Ferieninsel Mallorca eine neue Existenz auf. Doch die Legende der Rennsport-Prototypen der siebziger und achtziger Jahre lebt. Und so würde es niemanden ernsthaft wundern, wenn auch dieser Gruppe C2 in einem der Revival-Formate aufkreuzen würde. In Sachen Energiebilanz könnte er es auch mit aktuellen Le-Mans-Prototypen aufnehmen…
Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome