numéro 959: Le Doyen s’impose
Roland Heidl zeigt auf Schloss Eller den High-Tech-Porsche Nummer 959.
Zu seiner Zeit stand der Porsche 959 für aktives Fahren in seiner schönsten, schnellsten, aber auch seltensten Form. Es sollen 292 Exemplare des anspruchsvoll ausgestatteten High-Tech-Boliden gewesen sein, die das Werk schließlich verlassen haben. Dass der finanzielle Gegenwert den bis dato gewohnten Rahmen sprengte, verwundert nicht. Die weltberühmt gewordene Anfangsofferte lag 1984 bei 420.000 D-Mark. Diese Zahl zog genauso ins Einmaleins der Auto-Beseelten ein wie jene 630.000 D-Mark, die ein 956 Gruppe C aus der Kundensport-Abteilung – dem verlässlichsten Preislabor am Markt – ein Jahr zuvor kostete. Enthusiasten, die vermögend genug und willens waren, mit Zuffenhausens neuem Spitzensportler ihre Sammlung zu erweitern, fanden sich mehr als genug. Denn wie schon so oft in der Porsche-Modellgeschichte überstieg die Nachfrage das mehr oder weniger strikt limitierte Angebot. Diesen Traumwagen zu besitzen, soll so manchem PS-Verrückten ein Vielfaches des Listenpreises wert gewesen sein. Ende der achtziger Jahre schnellten die Sekundärmarktpreise in Richtung einer Million D-Mark. Ein ungeahntes Segment baute sich auf, und in dieser Liga spielten auffallend viele Porsche mit. 911 Carrera RSR, 956 Gruppe C der ersten Stunde sowie die Ferrari GTO und F40: Das waren die Investment Cars, in die es sich viel Geld anzulegen lohnte.
Zu seiner Zeit stand der Porsche 959 für aktives Fahren in seiner schönsten, schnellsten, aber auch seltensten Form.
Dabei war es für Porsche gar nicht das erklärte Ziel, großes Geld mit dem Wagen zu verdienen. Das wäre rechnerisch auch gar nicht möglich gewesen. Vielmehr sollte der 959 dem Porsche-Kult neue Nahrung geben. Die Marke schwächelte im Absatz und im Image. Solide Technik, Erfolge im Motorsport und gute Tradition hatten in den vorausgegangenen Jahrzehnten ausgereicht. Mitte der achtziger Jahre aber mehrten sich Anzeichen, dass diese alten Strategien nicht mehr griffen. Konnten 1985/86 weltweit noch mehr als 53.000 neue Porsche abgesetzt werden, ging die Zahl der verkauften Neuwagen 1987/88 auf 31.000 Einheiten zurück. Als Ursachen für den Einbruch galten die lang anhaltende Krise des US-Dollars und der Vormarsch der Konkurrenz aus Fernost. Das Flaggschiff Porsche 911 war im Vergleich zu den hauseigenen Ingenieursleistungen wie dem TAG-Turbomotor in der Formel 1, dem PDK-Getriebe oder den Rennsportwagen 956/962C in die Jahre geraten. Was der Sportwagenbauer von Weltruf brauchte, war nicht einfach ein neues Modell.
Es war höchste Zeit, mit einem Paukenschlag den Ausnahmestatus wieder zu beleben, dem Mythos Porsche neue Nahrung zu verleihen.
Bereits zum Jahreswechsel 1982/83 vermutete die Fachpresse, dass in Weissach unter Hochdruck gearbeitet würde. Tatsächlich präsentierte Porsche auf der IAA 1983 in Frankfurt und wenig später zur Essen Motor Show die Studie „Gruppe B“. Formal auf dem Porsche 911 beruhend, sollte sie die Ausgangsbasis für den äußerlich später kaum veränderten 959 sein. Offiziell handelte es sich um ein Fahrzeug, das für Einsätze im Kundensport ähnlich des 956 gedacht war. Dazu passend, flankierte ein gleichfarbiger 956 in Langheck-Ausführung die historische Messe-Präsentation. Auch eine Teilnahme an der spektakulären Rallye Paris-Dakar stand zur Debatte. 1986 wurde daraus Wirklichkeit. Beim großen Wüstenspektakel belegte der 959 die Plätze 1, 2 und 5. Auch bei den legendären 24 Stunden von Le Mans überzeugte der Allrad-Renner 1986 als nochmals weiterentwickelte Rennausführung unter der Werks-internen Typenbezeichnung 961. Die Anfragen häuften sich, wann zumindest die Basisversion in den Handel kommen würde. Bereits ein Jahr zuvor hatte das Werk bekannt gegeben, den Wagen in einer Auflage von etwa 700 Exemplaren fertigen zu wollen. Ganz nebenbei bemerkt: Die Richtlinien der FIA-Gruppe B sahen lediglich eine Mindestproduktion von 200 Fahrzeugen vor, um die sportrechtliche Zulassung, sprich: die Homologation, zu gewährleisten.
Letztendlich liefen – wie eingangs erwähnt – lediglich 292 Autos vom Band.
Die ursprünglich genannte Zahl von 700 Stück hätte wahrscheinlich auch an den Mann gebracht werden können. Die Verknappung des Angebots – verbunden mit der fortdauernden Verzögerung des Produktionsstarts – fachte das Interesse weiter an. Bei Porsche wusste man offenbar schon damals, vor mehr als drei Jahrzehnten: So funktioniert Marketing! Im Frühjahr 1987 löste sich die Erwartung in Wohlgefallen auf. Ab sofort war der 959 in zwei Varianten lieferbar: Die Komfortversion verfügte über eine Klimaautomatik, Vollleder-Ausstattung mit elektrisch verstellbaren Sitzen, Niveauregulierung sowie zusätzlichem Außenspiegel auf der Beifahrerseite. Für Puristen stand eine spartanischer ausgestattete, leichtgewichtigere Sportausführung zur Verfügung. Diese kam allerdings seltener zur Auslieferung und ist heute aufgrund der geringeren Stückzahl von Sammlern überall auf dem Globus noch stärker begehrt als die Komfort-Ausführung. Ähnlich verhält es sich bei den Carrera RS.
Die Türen und Fronthaube waren in Aluminium ausgeführt, weitreichender Einsatz von Kunststoff führte zu weiterer Gewichtsersparnis.
Die Konstruktion des Porsche 959 war aufwändig. So bestand die Sicherheitszelle des Wagens aus feuerverzinkten Stahlblechen. Die Türen und Fronthaube waren in Aluminium ausgeführt, weitreichender Einsatz von Kunststoff führte zu weiterer Gewichtsersparnis. Die Frontschürze beispielsweise verdankt ihre Leichtigkeit einem Schaum aus Polyurethan. Und in die Fertigung von Kotflügeln, Dach- und Heckpartie floss wie bei den Rennsport-Prototypen ein Epoxydharz ein. Die Magnesium-Felgen stachen durch ihre hohl gegossenen Speichen hervor. So brachte die Sportversion 1.350 und die Komfortvariante 1.450 Kilogramm auf die Waage. Letztere ermöglichte dem Fahrer, die Bodenfreiheit während der Fahrt über einen Drehschalter zu verändern, und zwar in drei Stufen: 120 Millimeter, 150 oder 180. Nur bei geringeren Geschwindigkeiten durfte zwischen den drei Modi manuell gewählt werden. Bei höheren Tempi übernahm eine Elektronik die Kontrolle über die Höhen und Tiefen des Fahrgestells. Aus Gründen der Gewichtsersparnis verzichtete Porsche bei der Sportversion auf ein solches System. Hier befand sich das Fahrwerk konstant auf niedrigstem Niveau. Mit einem ausgeklügelten Anti-Blockiersystem – für Geschwindigkeiten größer 300 Stundenkilometer ausgelegt – waren beide Varianten ausgestattet. Ein Kontrollsystem, das den Fahrer über einen Luftdruckverlust in den Reifen informierte, verbesserte die Fahrsicherheit zusätzlich. Für den Fall, dass einem Pneu die Luft plötzlich ausgehen sollte, bot das über die Gruppe C etablierte Dunlop-„Denloc“-Sicherheitssystem genügend Seitenführung, um weiterhin spur- und linientreu manövrieren zu können.
Ein Sechsgang-Schaltgetriebe leitete die Motorkraft an alle vier Räder weiter – mit variabler Kräfteverteilung.
In vielerlei Hinsicht lieferte der Rennsportwagen 956/962C als Sinnbild innovativer Technologie den argumentativen Überbau für den Porsche-Typ 959. Dies verdeutlichte die Antriebsseite eindrucksvoll. Den 2,85-Liter großen Sechszylinder-Boxermotor setzten gleich zwei Turbolader unter Druck. Damit setzte Porsche erstmalig in der Serie auf das Doppellader-Prinzip. Seit 1974 war der 930 turbo mit einzelner Aufladung gut gefahren. Es bestand jedoch ein großer Unterschied zu den Rennsport-Triebwerken. Sie verfügten seit 1978 jeweils über eine KKK-Abgas-Turbine pro Zylinderreihe. Der 959 arbeitete im Register-Verfahren. Bei niedrigen Drehzahlen arbeitete der kleinere und schneller ansprechende Lader, während sich der größere erst ab 4.300 Motorumdrehungen aufschaltete. Kurbeltrieb und Zylinder ließen sich mit Luft temperieren, Zylinderköpfe und Turbolader bekamen Wasser zur Abkühlung gereicht. Im Stadium höchster Betriebsamkeit mobilisierte das Biturbo-Triebwerk 450 PS. Das maximale Drehmoment von 500 Newtonmetern lag bei 5.500 Kurbelwellen-Umdrehungen pro Minute an. Ein Sechsgang-Schaltgetriebe leitete die Motorkraft an alle vier Räder weiter – mit variabler Kräfteverteilung. Über einen Schalter im Cockpit konnte der Fahrer zwischen den Programmen „Traktion“, „Trocken“, „Nässe“ oder „Schnee und Eis“ wählen. Im Modus für trockene Fahrbahn gelangten 80 Prozent der Systemleistung zu den Hinterrädern. Entschied sich der Steuer-Mann für das Programm „Traktion“, kamen der Vorder- und Hinterachse gleichmäßig aufgeteilte Kräfte zu.
Über einen Schalter im Cockpit konnte der Fahrer zwischen den Programmen „Traktion“, „Trocken“, „Nässe“ oder „Schnee und Eis“ wählen.
Das Resümee geballter Spitzentechnologie: imposante Fahrleistungen. Von null auf 100 km/h spurtete der Porsche 959 in 3,9 Sekunden, erst bei 315 km/h lag die Höchstgeschwindigkeit an. Auf Wunsch war über die Porsche-Exklusiv-Abteilung eine nochmals in der Leistung gesteigerte Ausführung mit 515 PS lieferbar. Zu seiner Zeit galt der 959 als Inbegriff der Gattung Sportwagen schlechthin. Auf der Grundlage Rennsport-naher Technik war ein Automobil entstanden, das Leistungsfähigkeit, ausgezeichnete Laufkultur, vorzügliche Fahreigenschaften und zukunftsweisende Sicherheitstechnologien miteinander vereinte. Dass die meisten seiner Investoren ihren Ausnahmeathleten in einer Sammlung verbargen – und er deshalb höchst selten auf den Straßen zu sehen war – untermauerte seinen Status. Der Porsche 959 war eben immer schon etwas ganz Besonderes. Das zeigte sich auch beim Rendezvous auf Schloss Eller vor den Toren der Stadt Düsseldorf an einem schönen, sonnigen Tag im Herbst. Auf einer ansonsten etwas hektisch verlaufenen Rücktour vom Hockenheimring, trotz stundenlanger Staus ob der herrlichen Wetterlage, überraschte der Doyen unter den Porsche mit seiner einzigartigen Würde. Der ortsansässige Technicus Roland Heidi hatte die Zusammenkunft von Mensch und Maschine organisiert und im Vorfeld eine intensive Durchsicht durchgeführt. Ihm war bei aller Routine anzumerken, mit welcher Ehrfurcht er sich der Materie näherte. Das übertrug sich auf den Kamera-Mann und Autoren, der sich nicht gewagt hätte, nach den Hintergründen des englischen Kennzeichens zu fragen.
Der ortsansässige Technicus Roland Heidi hatte die Zusammenkunft von Mensch und Maschine organisiert und im Vorfeld eine intensive Durchsicht durchgeführt.
„Es wird schon seinen Grund haben“, blieb der unausgesprochene Konsens. Diskretion war und ist ein Leitmotiv in einer Liga, in der sich niemand damit hervortun würde, Kunden-Klarnamen in den Orbit zu trompeten. Ein wahrer Doyen macht so etwas nicht.
Fazit: keine weiteren Fragen.
Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins
Fahrzeugtyp: Porsche 959 …powered by Heidl
Karosserie: geschlossenes Coupé, als Sicherheitszelle ausgebildete Tragstruktur aus feuerverzinktem Stahlblech; Bugschürze aus Polyurethan (PU); Fronthaube und Türen aus Aluminium; Kotflügel, Dach- und Heckpartie aus aramid- sowie glasfaserverstärktem Epoxydharz (Kevlar); bündig aufgeklebte Windschutzscheibe; in die Karosserie einbezogener Heckflügel sowie Seitenschweller; Überrollkäfig (bei der Sportversion); Unterboden-Verkleidung
cW-Wert: 0,31
Motor: luftgekühlter Sechszylinder-Boxer; zwei wassergekühlte Zylinderkopf-Zeilen; vier Ventile pro Zylinder, vier über Doppel-Stuerketten angetriebene Nockenwellen, hydraulische Stößel, Titan-Pleuel, Trockensumpf-Ölkreislauf mit einer Druck- und fünf Absaugpumpen, zwei Ölkühler im Bug, zwei wassergekühlte KKK-Abgas-Turbolader in Drehzahl-abhängiger Registerschaltung, zwei Luft-/Luft-Ladeluftkühler, digitale Bosch-Motor-Elektronik Typ Motronic
Hubraum: 2.848 ccm
Motorleistung: Serie 450 PS bei 6.500/min, in Porsche-Exklusive-Sportversion 515 PS
maximales Drehmoment: 500 Nm bei 5.500/min
Kraftübertragung: mechanisches Sechsgang-Schaltgetriebe mit Borg-Warner-Synchronisierung, hydraulisch sperrfähiges Hinterachsdifferenzial, vorderes Antriebsaggregat mit im Ölbad laufender Lamellenkupplung und Federscheibe (Porsche-Steuerkupplung PSK); Mikroprozessor-gesteuerter, variabler Allradantrieb in Transaxle-Bauweise; Transaxle-Rohr aus Aluminium, Einscheiben-Trockenkupplung
Bremsanlage: Zweikreis-Hochdruckanlage mit getrennten Speichern, innenbelüftete Scheiben (322 x 32 mm vorn und 304 x 28 mm hinten), in der Sportversion zusätzlich gelocht, Vierkolben-Aluminium-Festsättel, ABS
Radaufhängungen: einzeln an Doppelquerlenkern, konzentrische Schraubenfedern, jeweils zwei Bilstein-Stoßdämpfer pro Rad, manuell und elektronisch gesteuertes Dämpfungs-Regelsystem, Stabilisatoren, manuell und elektronisch gesteuerte Niveauregulierung (bei der Komfortversion)
Räder: Bridgestone „RE71″ (235/45 ZR17 vorn und 255/40 ZR17 oder 275/35 ZR17 hinten) auf einteiligen Magnesium-Hohlspeichenfelgen (8J x 17 vorn und 9J x 17 oder 10J x 17 hinten), Zentralverschluss, Denloc-Sicherheitssystem, Reifendrucksensoren
Interieur (Komfortversion): elektrische Fensterheber, vollautomatische Klimaanlage; (Sportversion): Sportsitze, Kurbelscheiben, Entfall der Klimaanlage, Entfall der Notsitze im Fond
Leergewicht: 1.450 kg (Komfortversion), 1.350 kg (Sportversion)
Beschleunigung: 0 – 100 km/h in 3,9 sec., 0 – 200 km/h in 14,3 sec.
Höchstgeschwindigkeit: 315 km/h