Entdeckt und dokumentiert bei Roland Heidl in Düsseldorf: behutsame Wiederinbetriebnahme eines 1975 handgefertigten Homologationsmodells aus dem anbrechenden Turbo-Zeitalter.
Als Porsche 1976 den 911 turbo RSR – Typ 934 – für den Privatkunden-Rennsport in aller Welt aus der Taufe hob, war dem die Serienfertigung von 654 Exemplaren des Porsche 911 turbo 3.0 nach den Werksferien 1975 vorausgegangen. 400 hätten zur sportrechtlichen Zulassung ausgereicht. Das forderte das technische Regelwerk des Motorsport-Weltverbandes, der FIA, mit Sitz in Paris. So entstanden die ersten Dreiliter-Breitbau-Coupés mit Abgas-Turboaufladung, die in der Straßen-Ausführung bis zum Modelljahr 1978 ohne eine Ladeluftkühlung auskommen mussten. Wenig ist bekannt über die 274 Einzelfahrzeuge, die zwölf Monate zuvor in Handarbeit entstanden. Eigentlich waren sie zur Homologation der kommenden Rennsportwagen-Generation von Porsche vorgesehen. Doch dann verschob sich die Einführung des neuen FIA-Reglements um ein Jahr. Dies führte zum Abbruch der Produktion. Heute sind diese frühen Porsche 911 turbo 3.0 wie Juwelen im Stammbaum der Zuffenhausener Sportwagen-Schmiede anzusehen. Das weiß auch Roland Heidl. Behutsam nahm sich der Porsche-Experte aus der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf eines Nullserien-Homologationsmodells mit der Chassis-Endnummer 0254 an. Möglichst wenig von der kulturhistorisch wertvollen Grundsubstanz sollte im Zuge der Wiederinbetriebnahme verloren gehen. Das Ergebnis: keine Restauration, sondern vielmehr eine so genannte Refreshtoration. Carsten Krome sah sich vor Ort um – und fand sich inmitten einer Zeitreise zurück in die wilden Siebziger wieder. Hier ist sein Bericht.
Aufgewachsen zwischen Werkzeugkisten und Porsche-Ersatzteilen: fast schon eine Selbstverpflichtung. Ganz besonders für Roland Heidl (54) aus Düsseldorf-Eller.
Roland Heidl, an Allerheiligen 1964 zur Welt gekommen, wuchs zwischen Werkzeugkisten und Porsche-Ersatzteilen auf. In den achtziger Jahren avancierte sein Vater Rolf Heidl zu einem der renommiertesten Performance-Tüftler der Branche. Mit seinem „Revanche“, einem Hochgeschwindigkeits-Konzept auf Basis des Porsche 911 turbo der G-Serie, verwirklichte der Tuner nicht nur eine Kleinserie für besser betuchte Sportwagen-Connaisseure. Vielmehr erwarb er sich darüber hinaus eine Reputation als Motorenlieferant im Automobil-Rennsport. 1987 stieg Heidl als Partner von Manfred Dahm und Fahrer Peter Fritsch in die Prototypen-Liga der Gruppe C auf. Der Argo JM 19 C2 Porsche turbo war ein Musterbeispiel an professionell eingesetzter Experimentierfreude. Roland Heidl erlebte diese prägende Phase im Düsseldorfer Porsche Zentrum am Seestern mit. Seinen Jahresurlaub verbrachte er mit dem Senior an den Rennstrecken Europas. Selbst an die 24 Stunden von Le Mans wagte sich das Vater-Sohn-Duo mit dem Argo-Porsche heran. 1992 machte sich der Junior schließlich selbstständig – zunächst mit einem mobilen Sportwagen-Service, später in einer immer lebhafter frequentierten Werkstatt an der Ackerstraße im Herzen der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens. Erblich ganz offensichtlich vorbelastet, trat Roland Heidl mit dem „B 996″ in die Fußstapfen seines Vaters. Er interpretierte Wendelin Wiedekings Gleichteil-Strategie auf seine eigene Weise, implantierte das Triebwerk der Generation 996 in einen 986 Boxster und vertiefte sich in das Projekt. In einer weiteren Entwicklungsphase schuf er eine Hybrid- Version mit einem auf vier Liter Hubraum erweiterten Sechszylinder-Boxermotor des Typs 997 und angepasster Aerodynamik. Es blieb nicht die einzige kreative Antwort auf das, was die Stuttgarter Traumfabrik mit der Zeit hervorbrachte. Immer wieder ließ Roland Heidl neben dem Alltagsgeschäft seinem Ideenreichtum freien Lauf. Behutsamer ging er an die Aufarbeitung eines Porsche 911 turbo 3.0 heran, der 1975 als frühes Homologationsmodell für die FIA-Gruppe 4 zur Auslieferung kam. Die überrestaurierten Exemplare, denen die Aura des Alten, des Unverfälschten, abhanden gekommen ist, werden weniger lebhaft nachgefragt. Ein Hochglanzprojekt wollte Roland Heidl nicht vorantreiben. Vielmehr war ihm am weitreichenden Erhalt der historischen Substanz gelegen. Sein Lösungsansatz: eine vorsichtige „Refreshtoration“ statt einer (Über-)Restaurierung.
Ahnenforschung: Beim Porsche 911 turbo 3.0 mit der Fahrgestellnummer 930 570 0254 handelt es sich um eins von 274 handgefertigten Vorserien-Exemplaren.
Der Porsche 911 turbo 3.0 mit der Fahrgestellnummer 930 570 0254 geisterte schon seit langen Jahren im Dunstkreis der Familie Heidl umher. Vater Rolf nahm es in den frühen achtziger Jahren in die Betreuung. Aufbewahrte Werkstattrechnungen belegen dies. Die fehlende Typschlüsselnummer in den Zulassungspapieren weist darauf hin, dass es sich um ein handgefertigtes Vorserien-Exemplar handelt. Tatsächlich entstanden 274 Einheiten, ehe die Einführung des neuen FIA-Reglements für den Produktionswagen-Rennsport für zwölf Monate auf Eis gelegt wurde. Die Produktion stoppte vorübergehend, nach den Werksferien 1975 lief sie erneut an. Sie war jedoch dem Modelljahr 1976 zugehörig, zu erkennen anhand der vierten Ziffer in der Chassisnummer. Weitere 654 Dreiliter-turbo kamen auf den europäischen Markt, nochmals 520 US-Versionen für die Ausfuhr nach Übersee – für damalige Verhältnisse ein Erfolgswagen. Der seltenere Vorläufer rollte 2004 bei Roland Heidl in den Werkstatthof an der Ackerstraße in Düsseldorf-Mitte. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich der modellhistorisch hochinteressante 930er an mehreren Stellen verändert. So entsprachen sowohl der Heckspoiler des „Dreidreiers“ als auch der Außenspiegel auf der Beifahrerseite nicht dem Ursprungszustand bei der Werks-Auslieferung. Darüber hinaus war die Original-Lackierung durch einen Anstrich in „Diamant-metallic“ ersetzt worden. Acht Jahre später stand ein TÜV-Termin ins Haus. Inzwischen war ein Wartungsumfang aufgelaufen, der dem Besitzer des Porsche als nicht tragbar erschien. Kurzerhand bot er Roland Heidl den Einzellader aus zweiter Hand zum Ankauf an. Bei 120.000 Kilometern Laufleistung zeigte sich vor allem das Interieur in einem sehr gepflegten Erhaltungszustand. Auf die Motor-Getriebe-Einheit traf das nicht unbedingt zu, die Hauptaggregate mussten technisch überholt werden. Auch am Fahrwerk, an den Bremsen und den Rädern galt es, den einen oder anderen Mangel zu beseitigen. Das alles passierte im Jahr 2012. Zu diesem Zeitpunkt waren andere Prioritäten abzuarbeiten, für die folgenden 36 Monate verschwand das künftige Restaurationsobjekt in den Katakomben unter der neuen Werkstatt an der Karl-Geusen-Straße in Düsseldorf-Eller. Erst 2015 kam das Standprojekt wirklich in Schwung. In einem schonenden Thermoverfahren konnte die nur mäßig reparaturbedürftige Karosserie bis auf das nackte Blech vom Altlack befreit werden. Das zusätzliche Bohrloch im rechten Türblatt für den zweiten Außenspiegel konnte verschlossen werden, um so die Herrlichkeit der siebziger Jahre wieder herzustellen. Die Neulackierung erfolgte in schlichtem, aber authentischem „Unischwarz“. Das betraf natürlich auch den zurückgerüsteten Original-Heckspoiler mit der charakteristischen, nach beiden Seiten offenen Gummilippe – mit der korrekten Produktionsnummer von Porsche. Vor dem erneuten Farbaufbau waren klassische Schweißarbeiten an den B-Säulen sowie im Bereich der Seitenschweller gefordert. Zwar fanden sich Spuren früherer Eingriffe, doch die handwerkliche Ausführung entsprach nicht dem Standard unserer Zeit. Das hat sich inzwischen wieder geändert, auch wenn Roland Heidl betont, dass die Türen, Hauben, Kotflügel und Seitenwände vollständig erhalten worden sind. Möglichst viel von der Grundsubstanz sollte erhalten werden, diese Zielsetzung ist auch umgesetzt worden.
Innen so authentisch wie außen: Sitze und Teppichboden versprühen den unvergleichlichen Charme der siebziger Jahre. Und was verstehen Sie unter einer „Refreshtoration“?
Nach derselben Methode ist im Wageninneren vorgegangen worden: Sitze und Teppichboden versprühen den Charme der wilden Siebziger, einzig der lederne Lenkkranz verlangte nach nachhaltigerer Auffrischung – das ist übrigens die deutschsprachige Entsprechung von „Refreshtoration“, einer besonders nachhaltigen und wertschätzenden Vorgehensweise. Da wird nicht einfach etwas weggeworfen, was erhalten werden könnte. Roland Heidl findet in diesem Zusammenhang bemerkenswert, „dass sogar der Kofferraumboden so bleiben konnte, wie ich ihn vorgefunden habe.“ Oft wird bei Restaurationen von deutlich größerem Umfang von allerlei Schreckensgebilden berichtet, die ausgelaufene Batteriesäure im Vorderwagen hinterlassen kann. Da der Düsseldorfer Urturbo jedoch über einen längeren Zeitraum noch in Benutzung gewesen ist, hielten sich der Handlungsbedarf und somit der Substanzverlust in überschaubaren Grenzen. Darüber hinaus kam das feuerverzinkte Thyssen-Stahlblech erst nach den Werksferien 1975, zum Modelljahr 1976, bei Porsche flächendeckend zum Einsatz. Dennoch war der Erhaltungszustand als insgesamt gut zu bewerten. Das alles weiß auch der heutige Investor zu schätzen, der das Stück (Fahr-)Kulturhistorie vor einigen Monaten zu sich nach Essen nahm. Was Roland Heidl neben einem zufriedenen Kunden bleibt, sind Bilder, die am letzten Tag im März 2018, gleichzeitig Karsamstag und der Prolog zum Osterfest, in einem Industrie- und Betriebshof unweit der Karl-Geusen-Straße aufgenommen worden sind. Voller Stolz auf die abgeschlossene Überholung des alten Homologationsmodells aus den Zeiten der K-Jetronic stellte sich der Technik-Gelehrte gern zu seinem soeben vollendeten Werk – ein erinnerungswürdiger Moment, der gleichzeitig für den Chronisten die erste Fotoproduktion nach einer sehr speziellen Winterzeit bedeutete. In einer ersten Online-Veröffentlichung hieß es dann noch vor der Osternacht, angelehnt an den deutschen Hiphop-Musiker Benjamin Griffey alias Casper: „Ich weiß nur noch von Licht!“ Denn obwohl der 1975er Porsche 911 turbo 3.0 (Typ 930) mit seinen 260 PS in ein schlichtes „Unischwarz“ gehalten ist, explodierten im Düsseldorfer Frühling die Farbeindrücke. Ziemlich genau zwei Monate später stellte sich, nur wenige hundert Meter entfernt, ein wahrhaft bunter Vogel aus dem Hause Heidl den Kameras – und das am Japantag in all seiner Skurrilität. Worüber noch zu berichten sein wird.
Text und Fotografie: Carsten Krome Netzwerkeins
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1975er Porsche 911 turbo 3.0 (Typ 930, 260 PS) by Heidl: die technische dokumentation in allen relevanten Details.
#LifesBetterWithCameras. „Ich weiß nur noch von Licht“ (2014, Benjamin Griffey aka Casper).
https://roland-heidl.com/ich-weiss-nur-noch-von-licht-2014-benjamin-griffey-aka-casper/
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